Hintergrund

Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass ein Zusammenhang zwischen Adipositas und dem psychischem Befinden besteht. Mit zunehmendem Schweregrad der Adipositas leiden Menschen oft häufiger unter seelischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen oder Angststörungen, und weisen im Vergleich zu normalgewichtigen Personen auch häufiger Auffälligkeiten im Essverhalten auf. Darüber hinaus kann das eigene Gewicht einen Einfluss darauf haben, wie man sich selbst als Person bewertet. Nicht nur körperliche Einschränkungen im Alltag, sondern auch psychosoziale Folgeerscheinungen der Adipositas selbst vermindern oft die Lebensqualität der betroffenen Menschen.

In der nachfolgenden Übersicht werden psychosoziale Faktoren beschrieben, die in der PRAC-Studie sowohl vor der Operation als auch nach dem adipositaschirurgischen Eingriff untersucht werden. Die längsschnittliche Erfassung kann es ermöglichen festzustellen, welche psychosozialen Faktoren einen Einfluss auf den Behandlungserfolg der Adipositaschirurgie haben.

Foto: IFB Adipositas
Foto: IFB AdipositasErkrankungen

Essstörungen

Die Studienlage zeigt, dass Menschen mit Adipositas häufiger unter Auffälligkeiten im Essverhalten wie Essanfällen und nächtlichem Essen leiden, als diese bei normalgewichtigen Menschen auftreten.

Unter einem Essanfall versteht man die Aufnahme einer übermäßig großen Nahrungsmenge innerhalb kürzester Zeit, wobei der Betroffene das Gefühl hat, die Kontrolle über das Essen zu verlieren. Treten Essanfälle regelmäßig und über einen längeren Zeitraum auf, so kann eine Binge-Eating-Störung ("Essanfalls-Störung", BES) diagnostiziert werden.

Häufig wird während eines Essanfalls schneller als gewöhnlich gegessen, bis zu einem unangenehmen Völlegefühl oder in Abwesenheit von Hunger. Betroffene essen oft auch aus Scham heimlich und ekeln sich nach einem Essanfall, fühlen sich niedergeschlagen oder auch schuldig. Zeigen Betroffene regelmäßig nach einem Essanfall unangemessenes gegensteuerndes Verhalten wie z. B. selbst herbeigeführtes Erbrechen, weist dies auf die Essstörung Bulimia Nervosa ("Ess-Brech-Sucht") hin. Essanfälle ohne unangemessenes gegensteuerndes Verhalten und die Binge-Eating-Störung werden langfristig mit einem erhöhten BMI in Zusammenhang gebracht.

Des Weiteren gibt es Befunde, dass Menschen mit Adipositas und Personen, die einen adipositaschirurgischen Eingriff planen, bedeutend häufiger als normalgewichtige Menschen unter dem sogenannten Night-Eating-Syndrom ("Nächtliches Essen", NES) leiden. Das Night-Eating-Syndrom ist noch wenig erforscht. Unter dem Night-Eating-Syndrom versteht man zum einen spätnächtliches exzessives Essen, d. h. wenn mindestens 25 % der täglichen Nahrungsmenge erst nach dem Abendessen oder nach 20 Uhr gegessen wird. Zum anderen spricht man von nächtlichem Essen, wenn Menschen nachts aufwachen und etwas essen, nachdem sie bereits geschlafen haben. Ein Night-Eating-Syndrom liegt jedoch nicht vor, wenn spätabendliches oder nächtliches Essen durch besondere Umstände wie z. B. Schichtdienst, medizinische Krankheitsfaktoren, Medikamente/Substanzen, Pflege eines Kleinkindes oder soziale Normen (z. B. religiöse Vorgaben wie Ramadan, spätes Abendessen in südlichen Ländern) erklärt werden kann.

Auch bei Personen, die sich einem adipositaschirurgischen Eingriff unterzogen haben, können Essanfälle und nächtliches Essen vorkommen. Zwar kann meist nach einer Operation keine große Nahrungsmenge mehr aufgenommen werden, dennoch berichten Betroffene von Situationen, in denen sie das Gefühl haben, nicht mit dem Essen hätten aufhören zu können. Der Kontrollverlust ist somit dafür entscheidend, ob es sich um einen Essanfall handelt. Auch leiden viele Menschen trotz Adipositaschirurgie weiterhin unter nächtlichem Essen.

In der PRAC-Studie wird untersucht, ob Menschen mit Essanfällen, einer Binge-Eating-Störung oder einem Night-Eating-Syndrom auch nach einem adipositaschirurgischen Eingriff Auffälligkeiten im Essverhalten aufweisen und, wenn ja, inwieweit diese das Gewichtsmanagement nach der Operation beeinflussen.

Depressionen und Selbstmordgedanken

Depressionen gehören zu den häufigsten und hinsichtlich ihrer Schwere am meisten unterschätzten psychischen Störungen. Eine Depression kann unterschiedliche Verläufe haben und sich auf verschiedene Weise äußern – sie hat viele Gesichter. Als Kernsymptome werden andauernde Niedergeschlagenheit, der Verlust von Interesse und Freude und ein verminderter Antrieb gesehen. Hinzu kommen oft Schlafstörungen, verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit, vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen, Schuldgefühle und Gefühle von Wertlosigkeit und pessimistische Zukunftsperspektiven sowie Selbstmordgedanken und/oder -handlungen. Zahlreiche Befunde haben gezeigt, dass Menschen mit Adipositas, die einen adipositaschirurgischen Eingriff planen, bedeutend häufiger an Depressionen leiden, als diese bei normalgewichtigen Personen vorkommen. Darüber hinaus konnte in einigen Untersuchungen gezeigt werden, dass die Selbstmordrate nach der Operation im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung leicht erhöht ist. Bereits vorher bestehende psychische Störungen, wie Depressionen, gelten als Risikofaktoren, aber auch frühere Selbstmordversuche, sowie selbstverletzendes, impulsives und aggressives Verhalten.

In der PRAC-Studie wird untersucht, ob ein adipositaschirurgischer Eingriff Auswirkungen auf den weiteren Verlauf einer vor der Operation vorhandenen Depression hat und ob depressive Symptome den Behandlungserfolg der Adipositaschirurgie beeinflussen. Darüber hinaus wird untersucht, ob erhöhte Selbstmordraten vorliegen und auf welche Einflussfaktoren diese zurückgeführt werden können.

Angststörungen

In klinischen Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass Menschen mit Adipositas bedeutend häufiger an Angststörungen leiden, als sie vergleichsweise bei normalgewichtigen Menschen vorkommen. Der Oberbegriff Angststörung umfasst eine Gruppe von psychischen Störungen, die durch exzessive Furcht- und Angstreaktionen sowie entsprechende Verhaltensauffälligkeiten charakterisiert sind. Die verschiedenen Formen von Angststörungen unterscheiden sich voneinander in Bezug auf die Art der gefürchteten oder gemiedenen Objekte oder Situationen und der mit ihnen verbundenen Gedanken und Überzeugungen. Zu den Angststörungen zählen u. a.:

  • Die generalisierte Angststörung
    Betroffene leiden unter einer anhaltenden und übermäßigen sowie schwer kontrollierbaren Angst und Sorge bezüglich mehrerer Lebensbereiche.
  • Die spezifische Phobie
    Betroffene fürchten oder vermeiden bestimmte Objekte oder Situationen.
  • Die soziale Phobie
    Betroffene sind furchtsam, ängstlich oder vermeidend im Zusammenhang mit sozialen Interaktionen und Situationen, in denen sie von anderen beurteilt werden können.
  • Die Agoraphobie
    Betroffene haben Angst oder Furcht in Situationen, in denen sie denken, dass eine Flucht schwierig oder Hilfe nicht verfügbar sein könnte, z.B. öffentliche Verkehrsmittel, offene Plätze, geschlossene Räume.
  • Die Panikstörung
    Betroffene leiden unter wiederholt auftretenden unerwarteten Panikattacken.

In der PRAC-Studie wird untersucht, ob eine vorhandene Angstsymptomatik bei Menschen mit Adipositas Auswirkungen auf den Behandlungsverlauf nach Adipositaschirurgie hat.

Stigmatisierung, Selbstwert, Körperbild und Lebensqualität

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Adipöse Menschen sind in ihrem Alltag häufig Stigmatisierung und Diskriminierung ausgesetzt. Stigmatisierung heißt, dass ihnen aufgrund ihres Gewichtes negative Eigenschaften zugesprochen werden, z. B. das sie willensschwach oder undiszipliniert seien. Oft begegnen sie Vorurteilen, z. B. Zuschreibungen von Schuld oder Inkompetenz. Wird adipösen Menschen aufgrund ihres erhöhten Gewichts eine Gleichbehandlung erschwert oder verwehrt, so spricht man von gewichtsbezogener Diskriminierung.

Häufig haben die Stigmatisierten selbst die Tendenz, das Stigma anzunehmen. Dies hat zur Folge, dass ihr Selbstwert vermindert, ihr psychisches Leid verstärkt und ihre Lebensqualität beeinträchtigt werden. Des Weiteren kann Stigmatisierung auch mit einem negativen Körperbild einhergehen: Der eigene Körper wird nicht akzeptiert. Stigmatisierungserfahrungen begünstigen darüber hinaus depressive Stimmungszustände sowie ungünstige Essverhaltensweisen und Essstörungen.

In der PRAC-Studie wird untersucht, ob ein adipositaschirurgischer Eingriff einen Einfluss auf Stigmatisierungserfahrungen, Selbstwert, Körperbild und Lebensqualität der Menschen hat, um den langfristigen Erfolg der Operation auch in diesen Bereichen zu evaluieren.


Quellennachweis

American Psychiatric Association (2013). Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders-5. American Psychiatric Association: Washington, DC.

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Munsch S, Hilbert A (2015). Übergewicht und Adipositas. Göttingen: Hogrefe.

Rudolph A, Hilbert A (2014). Adipositaschirurgie. In: Borkenhagen A, Stirn A, Brähler E, Body Modification. Manual für Ärzte, Psychologen und Berater. (S. 69-90), Berlin: MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft.

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